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Blaulicht und Mascara (aus Kapitel 20)
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Autorin: Simone Meinhardis Eingestellt am: 03.10.2002
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...Unser Klassenzimmer lag im 1. Stock.
Auf der Treppe begegnete mir Alex Schmitt. "Hast Du es schon gehört?" erkundigte er sich bei mir. Verständnislos sah ich ihn an. "Was gehört ?" wollte ich wissen. Alex sah mich ernst an." In Hohenrain haben sie letzte Nacht einen Kollegen umgebracht!" erzählte er. "Einen von der Schicht." Das Treppenhaus schien sich plötzlich um mich herum zu drehen. Ich mußte mich auf eine der Stufen setzen. Fassungslos, voller Entsetzen, sah ich Alex an. "Was heißt "umgebracht?" Wen??" Er zuckte bedauernd die Achseln. "Das weiß ich leider auch nicht. Anscheinend ist er während einer Fahrzeugkontrolle umgekommen, aber Näheres weiß ich selber noch nicht. Es kam nur vorhin im Radio. Wenn ich mich nicht täusche, müßte es die Dienstgruppe "C" gewesen sein, die Nachtdienst hatte. Oh, da kommt unser Prof schon; ich muß rein, sorry!"
Rasch schlüpfte er in sein Klassenzimmer und schloß die Tür.
Meine Füße kamen mir plötzlich wie aus Blei vor. Langsam, unendlich langsam stand ich von der Treppe auf und schlich, wie in Trance, in mein Klassenzimmer. Auch dort hatte die schreckliche Neuigkeit sich bereits verbreitet, aber niemand wußte etwas Genaueres. In der großen Pause hielt ich die quälenden Fragen nicht länger aus. Nach einem kurzen, heftigen Kampf mit mir selbst - konnte ich die Kollegen denn jetzt überhaupt belästigen ? - nahm ich den Telefonhörer ab und wählte die Nummer des Polizeireviers Hohenrain.
Ich hatte Glück.
Am anderen Ende der Leitung meldete sich Georg Braun, ein älterer, besonnener Hauptmeister, mit dem ich mich immer gut verstanden hatte. Georg dachte nicht daran, mir Vorwürfe zu machen, sondern gab mir Antwort auf die schrecklichen Fragen. "Es war Rudi, Mona. Ein Fahrzeug hat ihn mitgeschleift und gegen eine Straßenlaterne geschleudert; an den inneren Verletzungen ist er dann letztendlich gestorben. Wir alle können das noch gar nicht richtig begreifen, was da passiert ist. Er hinterläßt eine Frau und drei Kinder, das Jüngste nicht einmal ein Jahr alt."
Die Tränen liefen mir hemmungslos über das Gesicht, als ich das hörte, so sehr ich auch dagegen ankämpfte. Rudi !
Ich sah ihn noch vor mir, wie er mir die wilden Orchideen und die Vögel draußen im Biotop gezeigt hatte. Rudi, der immer einen frechen Spruch auf Lager gehabt hatte, Rudi mit dem Riesenappetit und dem spitzbübischen Lachen ..... das war doch einfach nicht möglich ! Rudi konnte nicht einfach so tot sein, das glaubte ich einfach nicht ......
"Wenigstens haben sie inzwischen den Täter gefaßt!" fügte Georg wie tröstend hinzu. "Ein amtsbekannter Autoaufbrecher, der erst seit kurzem aus dem Gefängnis entlassen war, wo er wegen früherer Diebstähle gesessen hatte ! Erst 19 Jahre alt, ein Zigeuner." Aus Georgs Stimme klang unendliche Bitterkeit und Trauer. "Danke, Georg!" sagte ich leise und legte auf. Den Rest der Pause verbrachte ich auf dem Zimmer, das ich tagsüber mit zwei Kriminalanwärterinnen teilte. Zum Glück waren sie gerade nicht da; ich warf mich auf mein Bett und weinte bitterlich.
Ich weinte um einen Kollegen, einen Freund, mit einer Witwe, die mit drei kleinen Kindern alleine dastand, um ein Kind, das nie mit seinem Vater seinen ersten Geburtstag würde feiern dürfen .... Und ich weinte um die trügerische Vorstellung, daß so etwas jederzeit und jedem würde passieren können - nur nicht jemandem, den ich selber kannte.
Diese Vorstellung war mit einem Schlag für immer für mich verloren.
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Vom Lehrstoff im Unterricht bekam ich an diesem Tag nicht mehr allzuviel mit. Zwar versuchte ich mich zusammenzureißen, aber der Schock und der Schmerz über das, was da geschehen war, saß einfach zu tief.
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* Aktuelles *
(13.12.2024)
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"Ich entschloß mich von dem Standpunkt meiner eigenen
Erfahrungen zu schreiben, von dem was ich wusste und was ich
fühlte. Und das war meine Rettung...
... Was ist Original? Alles was wir tun, alles was wir
Denken existiert bereits und wir sind nur Vermittler. Das ist
alles. Wir machen von dem Gebrauch was bereits in der Luft ist."
Henry Miller, aus einem Interview in den 60-iger Jahren
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