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Artikel in der Bayerischen Staatszeitung vom 28.01.05
Die erste Leiche vergisst man nicht
Polizisten verarbeiten Erfahrungen in Form von Gedichten und Geschichten
"Man kann die Grausamkeit am Tatort förmlich riechen", erzählt Marion Inhuber, wenn sie über ihren Beruf als Kriminalpolizistin und "ihren" ersten Toten spricht. Und ihre erste Leiche bekam sie schnell zu sehen. Marion Inhuber war noch keine 72 Stunden bei der Kriminalpolizei, als sie zu drei Jugendlichen gerufen wurde, die sich selbst das Leben genommen hatte - das war vor 13 Jahren. "Ich sehe ihre Gesichter und Körper vor mir",
schreibt Marion Inhuber heute über das Erlebte. Auch der unfassbare Schmerz in den Augen der Eltern hat sich in ihr Gedächtnis eingebrannt und wird nun Gegenstand einer Kurzgeschichte,
die sie als Polizei-Poetin unter www.polizei-poeten.de veröffentlicht. Denn gerade nach einer
Reihe von schlimmen Ereignissen muss man sich Luft machen, findet sie, "und es in Worten
wieder rauslassen". Eine Methode, die funktioniert. Denn sobald Marion Inhuber ihre Gedanken
aufgeschrieben hat, verblassen die schrecklichen Erinnerungen.
Im stillen Kämmerlein
Marion Inhuber ist mit ihren
Gedanken nicht allein. Viele Polizisten verarbeiten das Erlebte, indem sie zu Stift und Papier
greifen. Doch bis vor zwei Jahren taten sie es zu Hause, im stillen Kämmerlein.
Auch Volker Uhl war einer von den schreibenden Polizisten. Doch im Gegensatz zu seinen Kollegen,
kam er auf die Idee, seine und die Geschichten der anderen Polizei-Poeten im Internet zu
veröffentlichen - ein Forum für Gleichgesinnten zu schaffen. Über das Internet machte er
sich auf die Suche nach Autoren. Auch wenn die Resonanz anfangs mager war - mittlerweile
gibt es deutschlandweit fünfzig Polizei-Poeten, die ihre Texte nicht nur ins Netz stellen,
sondern ihre Erfahrungen auch auf Workshops austauschen.
"Oft erleben wir uns als Maschinen, die funktionieren müssen, während der Teil Mensch zu
verkümmern droht", sagt Volker Uhl, der die Internetseite vor zwei Jahren ins Leben gerufen hat.
Und da Polizisten in ihrem Beruf schlimmere Dinge erleben, als der "Normale", sei es an der Zeit,
den Menschen hinter dem Beruf wieder zum Sprechen zu bringen - über seine Geschichten.
Hinter der Idee der Polizei-Poeten stand bei Volker Uhl immer der Wunsch, ein Buch zu
veröffentlichen - ein Wunsch, der im Herbst in Erfüllung gehen wird, wenn im Piper-Verlag
das erste Taschenbuch erscheint.
Die meisten Gedichte und Geschichten im Forum der Polizei-Poeten "sind vom Beruf inspiriert",
erzahlt Uhl. Der Kreativität sind dabei keine Grenzen gesetzt. So reichen die Werke von
Liebesgedichten über Fiktives bis hin zu Autobiographischem.
Für Marion Inhuber ist das Forum der Polizei-Poeten auch eine Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen.
"Dann merkt man erst, wie viele Gleichgesinnte man hat." So kommt es schon mal vor, dass Kollegen
sich bei ihr melden, um mit ihr über ähnliche Erfahrungen zu sprechen.
Es ist einfach, Polizei-Poet zu werden, betont Volker Uhl. Neben Stift und Papier braucht man
nur die Freude, mal mehr als nur Berichte schreiben zu dürfen - und ein bisschen Mut. Denn nicht
alle Beamten können die literarische Ader ihrer Kollegen verstehen. "Wer schreibt, ist bei den
Kollegen schnell ein Weichei", erzählt der Ulmer Polizeiobermeister Jens Mayer, der auf dem
Revier den Spitznamen "Poet" hat.
Auch bei den Vorgesetzten bringt das Schreiben mehr Schwierigkeiten als Anerkennung. Und um
Ärger zu vermeiden, haben Jens Mayers Geschichten "keinen dienstlichen Bezug". Seine Erzählungen
sind fiktiv, handeln von Drogen und dem Gefühl, eine Kugel zwischen die Rippen zu bekommen.
"Wenn du erschossen wirst", schreibt er, "dann ist das nicht unbedingt schmerzhaft. Weniger
noch von großer Dauer. Vielmehr bleibt dem Gehirn nur die Zeit zur Feststellung, dass da etwas
ist, was da nicht hingehört."
Genauso wie Marion Inhuber wird auch Jens Mayer nicht mit dem Schreiben aufhören - "schon aus
Fleiß nicht". Dass seine Kollegen ihn dabei mal schief ansehen, stört ihn nicht. "Denn
Anderssein ist eben immer verwerflich." Birgit Kruse
Am 1.9. erscheint das erste Taschenbuch im Piper-Verlag unter dem Titel "Die erste Leiche vergisst
man nicht. Polizisten erzählen". Volker Uhl (Hrg.), 8,90 Euro, 224 Seiten. Näheres unter www.polizei-poeten.de Der Artikel in der Bayerischen Staatszeitung
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* Aktuelles *
(09.11.2024)
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"Ich entschloß mich von dem Standpunkt meiner eigenen
Erfahrungen zu schreiben, von dem was ich wusste und was ich
fühlte. Und das war meine Rettung...
... Was ist Original? Alles was wir tun, alles was wir
Denken existiert bereits und wir sind nur Vermittler. Das ist
alles. Wir machen von dem Gebrauch was bereits in der Luft ist."
Henry Miller, aus einem Interview in den 60-iger Jahren
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