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Wies`n
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Autorin: Bianca Meier Eingestellt am: 12.01.2006
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Die Nacht ist über die Stadt hereingebrochen und alles erscheint in einem anderen Licht.
In die feuchte Luft mischt sich der Duft von
Zuckerwatte und gebrannten Mandeln. Hopfen und Malz
verleihen ihr eine eigene Schwere, die ich noch einmal
tief einatme, bevor ich die Türe schließe und wir
unsere Stadtstreife antreten.
Ich bin sehr erleichtert. Weg vom unaufhörlichen
Treiben und weg von den Scharen zu sein, die nur einen
Vorsatz haben. Die Rückkehr der ungeheuerlichen
Welle, die sich direkt von unserem Bahnhof in eine
einzige Richtung bewegt, ist zu erwarten. Aber heute
bin ich weg davon.
Leichter Nieselregen benetzt die Strasse, so dass sich
die vielen bunten Lichter darin spiegeln und wir in
eine Weite aus Farben in der Dunkelheit fahren. Nur
der rastlose Trubel auf den Strassen und das
unaufhörliche Knacksen unseres Funks zwingen mich zur Konzentration. Zu später Stunde stehen wir auf einer Anhöhe und blicken in einen Kessel in dem es brodelt und sichtbarer Dampf aufsteigt. Ein Gemisch aus geräucherten Fisch und Erbrochenem, aus Schweiß und Urin hebt sich nun aus der Kuhle. Blaulichter reihen sich wie eine Lichterkette rund um dieses pulsierende Dunstglocke. Nur wenn man genau hinsieht, erkennt man, dass es Menschen sind, die sich sternförmig wie die Vorboten einer gewaltigen Druckwelle vom Kern entfernen.
Während wir uns im ersten Gang dem Geschehen nähern,
wische ich mit meinem Ärmel die beschlagene
Seitenscheibe frei.
Jetzt sehe ich sie alle in einer Wiese. Wie
geschwächte Katastrophenopfer, die sich in letzter
Sekunde im Todeskampf behaupten konnten liegen sie
kraftlos da. Vereinzelt knien Sanitäter über den
reglosen Leibern und leuchten ihnen mit ihren
Taschenlampen ins Gesicht. Sie heben ein junges
Mädchen, die im Erbrochenen liegt, auf eine Bahre. Ihre
lange blonde Haare hängen dabei strähnig über den
Rand. Zwei Armlängen weiter verrichtet ein junger Herr
mit grauem Filzhut sein Geschäft. Er bemerkt das
hemmungslose Liebesspiel zweier Wiesnbesucher neben
ihm auf der Erde nicht. An einem Baum lehnend sitzt
ein Mann in Lederhosen mit Lebkuchenherz um den Hals:
"Herzilein" in blauer Zuckerschrift. Er umschlingt
seinen Maßkrug und schläft tief und fest. In der
anderen Hand hält er sein stummes Telefon. Dann kreuzt
eine junge Frau im kurzen Trachtenkleid unseren Weg.
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(05.12.2019)
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"Ich entschloß mich von dem Standpunkt meiner eigenen
Erfahrungen zu schreiben, von dem was ich wusste und was ich
fühlte. Und das war meine Rettung...
... Was ist Original? Alles was wir tun, alles was wir
Denken existiert bereits und wir sind nur Vermittler. Das ist
alles. Wir machen von dem Gebrauch was bereits in der Luft ist."
Henry Miller, aus einem Interview in den 60-iger Jahren
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