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Stern über den Karpaten
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Autorin: Simone Meinhardis Eingestellt am: 11.09.2005
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Seite 2 von 3 Schwarzmeerküste wie vom Lauf der Moldau und dem gewaltigen Donaudelta. Irgendwo hinter der endlos scheinenden Gebirgskette, tief unten im Tal, lag ihr Ziel: die Stadt. Schon der Gedanke daran ließ Joel zappeln. Wie lange hatte er auf diesen Tag gewartet! Noch nie in seinem sechsjährigen Leben hatte er den Vater zur staatlichen Gießerei begleiten dürfen, wo er sein Eisen, das Bauxit, das Mangan und den Zink ablieferte. Nun, nach der Schneeschmelze, war es endlich soweit.
Die Sonne stand hoch am Himmel, als der Wagen hielt.
"Die Papiere!" schnarrte der Uniformierte am Stadttor und musterte die Ladung. Ängstlich duckte sich Joel. Furchterregend schien ihm das lange Gewehr auf dem Rücken des Mannes, der alles prüfte und dann grußlos durchwinkte. Der Schreck war schnell vergessen. Zu stark war der Eindruck, den all die riesigen Bauten, die Statuen und das Kopfsteinpflaster auf den Buben machten. Dass es so hohe Häuser geben konnte! Nie zuvor hatte er dergleichen gesehen. Ehe er sich versah, stand der Braune vor der staatlichen Gießerei.
"Warte hier, Joel! Es dauert nicht lange!" Der Vater drückte ihm eine Scheibe Brot in die Hand, lud sich einen der Säcke auf den Rücken und verschwand die breite Treppe hinauf ins Dunkel des Betonklotzes.
Neugierig betrachtete der Junge die Passanten. Woher kamen all die Menschen? Wohin gingen sie? Plötzlich lauschte er. Inmitten der ratternden Kutschenräder und Automotoren erklang Musik! Deutlich konnte er es hören: es war Gesang, lieblicher, als er ihn je vernommen hatte. Wie eine unsichtbare Hand schien es ihn vom Bock, durch die Straße und hin zu den verzaubernden Klängen zu ziehen, und er hielt nicht an, bis er davor stand. Auf einer kleinen Bühne inmitten des Marktplatzes standen sie und sangen, so schön, als kämen sie direkt vom Himmel: ein Mann in Schwarz und eine Frau im langen Kleid. Joel lauschte mit angehaltenem Atem, ohne den Blick abzuwenden. Ahnungslos, was jener Igor Swajatoslawitsch, Fürst von Sewersk,
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* Aktuelles *
(29.03.2024)
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"Ich entschloß mich von dem Standpunkt meiner eigenen
Erfahrungen zu schreiben, von dem was ich wusste und was ich
fühlte. Und das war meine Rettung...
... Was ist Original? Alles was wir tun, alles was wir
Denken existiert bereits und wir sind nur Vermittler. Das ist
alles. Wir machen von dem Gebrauch was bereits in der Luft ist."
Henry Miller, aus einem Interview in den 60-iger Jahren
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